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„Wir brauchen dringend ein Umdenken bei den Ladenbauern“ - EuroCIS-Interview mit Johannes Schick, Geschäftsführer von höltl Retail Solutions

22.11.2011
Retail Security

Warum ist höltl bei RFID dabei? Und was bringt das dem Handel zum Beispiel bei der Diebstahlsicherung?

Wir betrachten das Kassenumfeld ganzheitlich. Daher ist RFID auch unser Thema. Bei der Tagung von GS1 Germany am 3. Dezember 2009 hatte Gerry Weber sein neues RFID-Konzept vorgestellt. Daraufhin haben wir bereits auf der EuroCIS 2010 einen laufenden Prototypen zeigen können. Kasse und Warenwirtschaft wurden RFID-fähig. Das Ganze startet mit dem Wareneingang. Dort wird dann bereits der EPC hinterlegt. Hat der Artikel noch keinen RFID-Tag, kann selbst ausgezeichnet werden. Diese Spezial-Etikettendrucker können drucken und gleichzeitig den RFID-Tag programmieren. Ist der Artikel dann auf der Fläche, wird er sofort „scharf-geschaltet“. Softwaremäßig wird der Artikel erst entschärft, wenn er an der Kasse verkauft wird. Der Kunde kann nun den Laden unbehelligt verlassen. Verlässt der Kunde mit unbezahlter Ware den Laden, wird sofort ein Alarm ausgelöst.

Wie weit ist der Elektronische Produktcode EPC verbreitet?

Der EPC ist noch gar nicht verbreitet. Es gibt einzelne Lieferanten, die das forcieren. Da ist Gerry Weber dabei oder Seidensticker, s.Oliver und auch Lemmi Fashion-Vertrieb.Das sind natürlich noch viel zu wenig. Der EPC beginnt erst, in die Köpfe der Hersteller hinein zu wachsen. Mit dem EPC wird jeder Artikel weltweit einzigartig.

Für welche Handelsbranchen lohnt sich RFID besonders?

Momentan ist die Textil-Branche der Technologie-Treiber – die Großkonfektionisten, aber auch Hersteller von Strümpfen und Wäsche haben Interesse. Auch andere Branchen wie zum Beispiel die Baumärkte – zum Beispiel die BayWa – zeigen sich hochgradig daran interessiert, um ihre Märkte und Garten-Center effizienter führen zu können. Mehr kann ich aber dazu jetzt noch nicht sagen. RFID entfaltet hier seinen primären Nutzen in der Logistik und in der Bestandsführung. Inventuren werden mit RFID viel leichter, jedenfalls bei den Produkten, an denen man ein RFID-Etikett oder Tag anbringen kann. Bei Nägeln oder Schmuck ist das noch sehr schwierig. Aber auch die Schuhbranche ist interessiert. Der Tag im Absatz ist eine Möglichkeit. Allerdings muss das Problem der Metalle im Schuh noch gelöst werden. Diese beeinträchtigen den Scan-Vorgang. Wir haben mit dem Modehaus Hagemeyer in Minden und Umgebung ein PROZEUS-Projekt, wo Hagemeyer als Logistik-Dienstleister für einen Mieter selbst auszeichnet. Hier ist der Mehrwert allein durch die Warensicherung erreicht. (www.prozeus.de)

Wie weit ist der Handel in Sachen RFID in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?

Deutschland ist in Europa führend. Es fängt bei den hochpreisigen Artikeln an, weil sich hier der Tag eher rechnet. Das ist wie damals in den Achtzigern, als der Strichcode kam. Damals lautete der Einwand, dass die Kunden von Luxusartikeln keine Strichcodes sehen sollten. Wir sind genauso zuversichtlich, dass RFID in den nächsten drei bis fünf Jahren kommen wird. Wir sind Wellentreter und keine Wellenreiter – insofern müssen wir der Entwicklung voraus sein. höltl ist immer gut ein Jahr vor dem Wettbewerb.

Ihr Motto auf der letzten EuroCIS war „Total-RFID“. Wie ging es weiter?

RFID wird uns auch noch die nächsten Jahre beschäftigen. Das diesjährige Motto lautet „Smarter Retail“ – alles, was das Leben im Handel leichter macht. Dazu gehört natürlich RFID, dazu gehört aber auch die Kasse in der Cloud, die wir letztes Jahr als Prototyp vorgestellt haben. Jetzt ist ein konkretes Anwender-Projekt daraus geworden, wir dürfen den Namen allerdings noch nicht nennen. Ganz wichtig werden in diesem Jahr für uns Apps auf dem Handy sein. Wir glauben, dass PDAs in der Filiale damit bald ausgemustert werden, weil Handys einfach universeller genutzt werden können. Wir starten mit einer App für den Warenverantwortlichen. Dieser fotografiert den Strichcode, hat über Business Intelligence sofort alle Abverkaufsdaten und Vergleichsprodukte zur Hand und kann über die App auch den Preis ändern oder umlagern. Das System denkt mit – eben „Smarter Retail“.

Smartphone und PDA, Drucker und RFID – die Hardware machen Sie nicht selbst. Wie steht es mit der Normung?

Standards auf der Hardware gibt es leider noch gar nicht. Die wollen wir für unsere Produkte und damit für unsere Kunden schaffen. Genau das ist der Mehrwert. Leider ist Forschung immer teurer als Nachmachen. Und Nachahmer gibt es einige am Markt. Solange es die aber gibt, wissen wir dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Zurück zur Diebstahlsicherung: Kann sich der Handel auf RFID verlassen?

Wir sind und bleiben Software-Spezialist und arbeiten hier eng mit ADT, Avery, Checkpoint oder RFIT zusammen. Um die Entfernung der Tags von der Ware zu erschweren, gibt es verschiedene Lösungsansätze. Reißfeste Befestigungsfäden oder Alarmsignale beim Lösen des Tags sind nur einige Antworten auf das Problem. Störsender sind ein weiteres Thema, an dem gearbeitet wird. Trotz all der Probleme ist RFID bei der Detektion eindeutig sicherer, weil jedes Teil gesichert wird und nicht nur eine Produktauswahl. RFID ist ein gesunder Kompromiss zwischen dem Schwund, der – machen wir uns nichts vor – nach wie vor da sein wird, und dem Aufwand zur Artikelsicherung, der umso geringer wird, je mehr Lieferanten RFID verwenden – Stichwort Quellensicherung.

Wie schnell rechnen sich RFID-Projekte?

Das Projekt bei Gerry Weber läuft erst ein halbes Jahr. Da gibt es noch keine klaren Zahlen. Konservativ gerechnet, gehen wir intern von einem ROI von anderthalb Jahren aus. Wenn man die Logistik, die internen Umlagerungen mitrechnet, dann ist es wesentlich weniger als ein Jahr. Ich kann zum Beispiel die Warenannahme im Karton machen und muss nicht sofort auspacken.

Welche RFID-Träume werden sich für den Handel wohl nicht erfüllen?

Das Plug-and-Play – das System von der Stange, das sofort verfügbar ist und läuft. Das ist ein frommer Wunsch, machbar vielleicht in fünf Jahren. Optimistischer bin ich beim Item-Tagging, langfristig sogar für jeden Joghurt-Becher. Irgendwann wird schon in der PET-Flasche der Tag integriert sein. Als Wal Mart im letzten Jahr anderthalb Milliarden Tags bestellt hat, konnte man sehen, welche Dimension RFID annehmen wird.

Akzeptieren die Kunden RFID-Tags?

Ja, weil es ihnen einen Nutzen bringt, wenn der Joghurt oder die Milch von sich aus meldet, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Neben der Kostenersparnis für den Handel steht für den Kunden, dass die Ware frischer ist, weil mehr überwacht werden kann. Erst in zehn Jahren – so sehen wir das – wird dann auch die Waschmaschine daheim die RFID-Pflege-Etiketten erkennen. Bisher würden die Tags ja nur zwei bis drei Waschgänge durchhalten.

Sie sprachen von störendem Metall in Schuhen. Das gilt doch auch für den Ladenbau?

Genau. Wir brauchen dringend ein Umdenken bei den Ladenbauern. Wunsch und Ziel wäre es, dass der Ladenbau schon im Objekt selber die Antennen verbauen würde. Dann wüsste der Rundständer oder jedes Regal, welche Artikel sich hier befinden. Dann müsste man zur Artikelerfassung gar nicht mehr mit Geräten auf der Verkaufsfläche herumlaufen.

Wie wichtig ist die EuroCIS für Sie?

Bei der EuroCIS legen wir immer die Saat fürs ganze Jahr. Und wir merken deutlich, wenn alle drei Jahre die EuroShop stattfindet. Dann ist das Publikum wesentlich internationaler. Und natürlich machen sich auch die zusätzlichen Messetage bemerkbar. Die Messe stößt bei uns vor allem die großen Projekte an, die dann die kleineren Projekte nach sich ziehen, bei denen wir die Technologie übernehmen können.

Interview: René Schellbach, EuroCIS