30.04.2012
Mitarbeiter sind keine Maschinen, es sind Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Die Kassiererin ist dankbar, wenn sie wegen ihres Kindes Schichten kurzfristig tauschen kann. Ebenso ist es weiter oben in der Hierarchie, wenn der junge Category Manager das Gefühl hat, dass „die da oben“ seine Fähigkeiten fair bewerten. Beide bleiben dem Unternehmen treu. Ein gutes Betriebsklima ist zudem gut fürs Image – und das wird immer wichtiger, denn gute Leute werden immer knapper.
Über sechs Millionen Fernsehzuschauer verfolgten Anfang Januar in der ARD den „Lidl-Check“. „Der Spiegel“ bezeichnete die Resonanz als „Sensationsquote“ für eine Dokumentation im Fernsehen. Zur besten Sendezeit, unmittelbar nach der 20-Uhr-Tagesschau, widmete sich die ARD in der Reihe „Markencheck“ den Marktführern im Handel: Lidl, McDonald's, H&M, Media-Markt. Die jeweils vier Check-Kriterien variierten je nach Handelssparte, aber stets mit dabei: die Fairness, meist gegenüber den Mitarbeitern, ansonsten gegenüber den Produzenten in der Dritten Welt. Ähnlich war es auch beim Vorläufer im WDR mit Ikea (11,7 Prozent Einschaltquote) Ferrero und Aldi. Ausführlich berichteten die Macher über Zeitdruck und Behinderungen bei der Gewerkschaftsarbeit. Das Test-Urteil: Der Umgang vieler großer Händler mit den Mitarbeitern ist „verbesserungswürdig“.
Die Öffentlichkeit nimmt wahr, wie fair ein Unternehmen ist. Fairer Einkauf und fairer Umgang mit den Mitarbeitern ist den Verbrauchern zwar wichtig, aber mehr zahlen wollen dafür nur wenige. Trotzdem sollte der Handel mit den Mitarbeitern nicht nach Belieben umspringen. Wie wichtig das Image ist, musste Schlecker erfahren. Ein Grund – unter mehreren – für den Niedergang des Drogerie-Discounters ist gewiss auch die anhaltende öffentliche Kritik am Arbeitgeber Schlecker. Die Medien berichteten stets ausführlich, wenn irgendwo eine Filiale über Nacht geschlossen und mit leicht verändertem Logo und neuer Firmierung wieder eröffnet hat – mit neuen, billigeren Arbeitsverträgen. Das kritisieren auch Gewerkschafter. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt: Wenn Verbraucher im Web suchen, können sie viel mehr über Handelsunternehmen erfahren als diesen manchmal lieb ist. Und dazu kommt: Das Web vergisst nichts, irgendwo sind die Inhalte auch dann auffindbar, wenn sie auf der ursprünglichen Seite getilgt werden.
Bewerber haben bald die große Auswahl
Arbeitsmarkt-Experten waren immer lauter: Die nächsten Jahrzehnte werden die Arbeitnehmer stärken – einfach weil sie immer knapper werden und unter vielen Job-Angeboten wählen können. Mit der Überalterung der Gesellschaft fehlt es jetzt schon in einigen Branchen an Nachwuchs. Im Interview zu diesem Fokus-Thema betont Dr. Kristine Heilmann vom Personalberatungsunternehmen ITB aus Bonn: Die Handelsunternehmen werden ihre Führungskräfte immer stärker umwerben müssen, damit sie nicht abwandern. Dies gilt in gewissem Maße auch fürs Filialpersonal. Zwar können intelligente Kassen, elektronische Regaletiketten und filialspezifische Regal-Planogramme manche Tätigkeit in der Filiale vereinfachen, aber nur mit Hilfskräften läuft keine Filiale.
Interview mit Dr. Kristine Heilmann, Geschäftsführende Gesellschafterin ITB Consulting, Bonn
Der Handel sollte in Zeiten des Fachkräftemangels nicht nur nach „High Potentials“ im eigenen Unternehmen suchen. „Es ist mehr denn je wichtig, alle Mitarbeiter im Blick zu haben, ihre spezifischen Potenziale zu entdecken und zu fördern – und Entwicklung nicht bloß als vertikale Karriere zu verstehen.“ Dies empfiehlt die Personalberaterin Dr. Kristine Heilmann im EuroCIS-Interview. Die promovierte Psychologin mit MBA-Abschluss arbeitet seit 13 Jahren für ITB Consulting in Bonn.
Sie beraten den Handel und auch andere Branchen. Was ist anders in anderen Branchen – und was könnte der Handel davon lernen?
Der Handel ist eine der faszinierendsten Branchen, die das ITB berät. Der Handel zeichnet sich dadurch aus, dass besonders schnell auf Marktveränderungen reagiert werden muss und dass das Ergebnis solcher Veränderungen oft unmittelbar sichtbar wird, etwa in Form eines über Nacht umgeräumten Warensortiments und der anschließenden täglichen Umsatzzahlen. Im Handel kann und muss vieles rasch umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Kultur in Handelsunternehmen häufig pragmatischer und – salopp ausgedrückt – etwas mehr „hands on“ als zum Beispiel in forschungsintensiven Branchen wie etwa der Automobil-Industrie oder dem Pharma-Bereich. Die „Branchen-Kultur“ sagt jedoch nichts über die Qualität der Personalentwicklung aus. Deren Qualität wird meiner Erfahrung nach vor allem von den jeweils verantwortlichen Personen bestimmt.
Woran erkennt man gute Führungskräfte?
Auf der Basis eines differenzierten Kompetenzmodells kann zum einen eine regelmäßige und systematische Potenzial-Einschätzung durch die jeweiligen Vorgesetzten eingeführt werden, zum anderen können zusätzliche „diagnostische“ Verfahren entwickelt werden, mit denen das Potenzial von Mitarbeitern erkannt wird. Dies können strukturierte Interviews, Testverfahren oder auch Assessment Center sein, in denen verschiedene alltagsnahe Situationen simuliert werden. ITB Consulting hat zum Beispiel für etliche Unternehmen so genannte „Development Center“ entwickelt und eingeführt, in denen die Stärken und der Lernbedarf der Teilnehmer erfasst und ein detaillierter Entwicklungsplan für jeden erarbeitet wird. Darauf aufbauend ist dann eine systematische Entwicklung des eigenen Führungsnachwuchses möglich.
Wer hat das Zeug, eine Führungskraft zu werden?
Unserer Ansicht nach ist es sehr wichtig, schon frühzeitig, auch auf unteren Ebenen, nach Potenzialträgern zu suchen – denn dort arbeiten heute die Führungskräfte von morgen. Werden sie nicht entdeckt und gefördert, dann wandern sie schnell zu Unternehmen mit besseren Entwicklungs-Chancen ab. Dabei sollte in Zeiten des Fachkräftemangels nicht mehr lediglich nach „High Potentials“ gesucht werden; es ist mehr denn je wichtig, alle Mitarbeiter im Blick zu haben, ihre spezifischen Potenziale zu entdecken und zu fördern – und Entwicklung nicht bloß als vertikale Karriere zu verstehen. Zwischen verschiedenen Unternehmensbereichen und Tätigkeitsbereichen sollte es zudem eine möglichst hohe Durchlässigkeit geben. Und zu guter Letzt braucht es für eine nachhaltige Personalentwicklung eine Zentralfunktion, bei der die Entwicklung aller Einzelnen „nachgehalten“ wird.
Ein Umdenken in den Unternehmen sollte bereits bei der Einstellung von Mitarbeitern stattfinden: Wenn ich Potenzialträger für künftige Führungsaufgaben im Unternehmen haben will, darf ich Mitarbeiter nicht nur für eine bestimmte Stelle einstellen, sondern muss das Potenzial des Bewerbers prüfen und ihn dann auf eine bestimmte Stelle hin entwickeln – oder sogar mal eine Stelle anpassen.
Führungskräfteentwicklung wirkt motivierend für die Aufsteiger. Wie vermeidet man Frust bei den übrigen Mitarbeitern?
Nicht jeder Mitarbeiter in einem Unternehmen kann Führungskraft werden. Es braucht immer auch Spezialisten, die besonders wertvolles Expertenwissen einbringen, Projektmanager, Sachbearbeiter, Mitarbeiter, die die Verwaltung professionell am Laufen halten. Wichtig ist, dass „Karriere“ nicht ausschließlich mit „Führungslaufbahn“ gleichgesetzt wird, sondern dass es noch weitere Karrierewege gibt.
Interview mit Volker Dieckmann, Account Manager bei Ethalon
Volker Dickmann nennt viele Vorteile, welche eine spezialisierte Software zur Personaleinsatzplanung (PEP) großen und auch kleineren Händlern bietet. Automatische Bedarfsermittlung reduziert demnach den Planungsaufwand, senkt die Personalkosten und berücksichtigt die Wünsche der Mitarbeiter. Ein weiteres Thema ist E-Learning: Dieckmann rät zu kurzen Lektionen in Kombination mit Präsenztraining.
Auf der EuroShop 2011 haben Ethalon und Torex eine Kooperation in Sachen PEP verkündet. Gibt es interessante neue Kunden?
Ja, unsere Software Argos wurde um bewährte Funktionalitäten von Torex Workforce Management ergänzt. Argos ist für den Einsatz bei kleinen und großen Einzelhändlern ausgerichtet. In 2011 konnten wir unseren Kundenkreis deutlich erweitern. Darunter sind mehrere führende Unternehmen der Handelsbranche. Hierzu zählen unter anderem Rossmann, Görtz, Deichmann SE, Snipes Textil, RAG Handels GmbH und TD Autoservice mit seinen TOTAL-Tankstellen).
Was spricht für den Einsatz von PEP-Software?
Die Vorteile sind vielfältig: Schnellere und übersichtlichere Planung, einfaches Erstellen von Auswertungen sowie ein aussagekräftiges Berichtswesen für die Lohnabrechnung. Darüber hinaus erfolgt die Lohnabrechnung per Knopfdruck, doppelte Dateneingaben und Übertragungsfehler gehören so der Vergangenheit an. Die Händler können mit einer PEP-Software teure Überstunden und unproduktive Leerlaufzeiten vermeiden.
Ist PEP-Software nur ein Thema für die Großen? Ab wann lohnt sich der Umstieg von Excel oder Zettelwirtschaft?
Pauschal-Aussagen wie „Der Einsatz einer PEP-Software lohnt sich ab n Mitarbeitern“ gibt es nicht. Das ist immer abhängig von Organisationsgrad und Zielsetzung eines Unternehmens. Unsere Erfahrungen zeigen, dass der Einsatz einer PEP-Software definitiv auch für kleinere Händler sinnvoll sein kann. Auch hier kommen die Vorteile voll zum Tragen. Eine einfache Excel-Tabelle reicht längst nicht aus, um eine optimale Lösung zu erhalten. Und der bedarfs- und qualifikationsgerechte Einsatz der Mitarbeiter hat positive Auswirkungen auf die Qualität der geleisteten Arbeit, die Motivation. Davon profitiert im Umkehrschluss auch der Kundenservice.
Welche Funktionen braucht ein solcher kleinerer Händler auf jeden Fall?
Eine manuelle Bedarfsplanung und Personaleinsatzplanung reicht den kleineren Händlern oftmals schon aus. Wichtig ist, dass gesetzliche und tarifliche Rahmenbedingungen sowie die Qualifikationen und Wünsche der Mitarbeiter automatisch bei der Planung geprüft und berücksichtigt werden. Auch Faktoren wie Urlaube und Zuschläge fließen mit ein.
Sofern sich ein Händler für die Einführung einer Zeiterfassung entscheidet, können die Kommt- und Geht-Buchungen in Argos über eine integrierte Zeiterfassungsmaske durch Eingabe der Personalnummer oder das Einscannen der Mitarbeiterkarte erfasst werden. Der Händler kann also auf externe Zeiterfassungsterminals verzichten. Funktionen, wie direkte Buchungskorrektur und Auswertungsjournale ersparen viel Zeit. Alle erfassten Arbeitszeiten können zentral über eine Schnittstelle an die Lohnbuchhaltung gegeben oder als Excel-Datei exportiert an den Steuerberater weitergegeben werden. Ethalon bietet Händlern, die kein eigenes Rechenzentrum betreiben, Argos auch als Software as a Service (SaaS) an. Der Händler bezahlt lediglich einen monatlichen Betrag für die Nutzung über eine vereinbarte Laufzeit.
Bei der EuroCIS stellen Sie die neue Version Ihrer PEP-Software Argos erstmals vor. Was ist neu?
Gemeinsam mit unseren Kunden haben wir die Planungsprozesse mit Fokus auf Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung analysiert. Dabei haben sich die Umsetzung einer automatischen Bedarfsermittlung sowie eines automatisierten Planungsvorschlags herauskristallisiert. Ebenso wurde ein in Argos integriertes umfassendes Berichtswesen gewünscht. Alle diese Anforderungen können wir nun in der neuen Version von Argos unseren Kunden anbieten. Durch unsere Kooperation mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg konnten wir wertvolle Erkenntnisse zur Benutzerfreundlichkeit von Softwaresystemen in Argos einfließen lassen und damit die Usability von Argos weiter verbessern.
Wie funktioniert eine automatische Bedarfsermittlung?
Die automatische Bedarfsermittlung reduziert den Planungsaufwand. Sie berechnet aufgrund von Vergangenheitswerten wie zum Beispiel Umsatzzahlen, Kassendaten oder Besucherfrequenzen sowie entsprechenden Zielvorgaben bei Umsatz und Produktivität den benötigten Personalbedarf. Der Nutzer priorisiert im Rahmen der Parametrierung individuell mit welcher Gewichtung die Bedarfstreiber in die Berechnung eingehen. Ausgehend von der automatischen Bedarfsermittlung erfolgt anschließend die tatsächliche Personalplanung pro Funktionsbereich – Verkauf, Kasse, Lager etc. Am Ende muss eine PEP-Software die Differenz zwischen Bedarf und Personaleinsatz grafisch darstellen, so dass Über- und Unterdeckungen sofort sichtbar sind.
Ihre Tochter IAM ist wieder mit am Messestand. Das Institut für interaktive Medien bietet Lernkonzepte an. Wo im Handel ist E-Learning möglich? Wann ist Präsenzschulung besser?
Beide Trainingsformen haben ihre Vorteile. E-Learning bringt Schulungsinhalte auf einen Knopfdruck in eine große Fläche an eine unbegrenzte Teilnehmerzahl. Außerdem hat in einem E-Learning-Kurs jeder Teilnehmer die Möglichkeit, sich die Inhalte in seinem Tempo mit einer beliebigen Zahl von Wiederholungen zu erarbeiten. Die multimediale Aufbereitung kann die Schulung zudem zum echten Erlebnis machen. Im Präsenztraining wird der persönliche Kontakt und Austausch gefördert. Gerade Kommunikationssituationen können hier gut geprobt werden – besser als das im E-Learning möglich ist. Die meiner Meinung nach besten Ergebnisse erzielt die gezielte Kombination der beiden Methoden: das Blended Learning. Das IAM bietet daher beides an.
E-Learning ist im Handel überall möglich und insbesondere für die Vermittlung von Faktenwissen geeignet, auch die Bedienung von Systemen wie Kasse, PEP, WWS bietet sich an. Geklärt werden muss natürlich die Schulungssituation am Rechner. Wo? Wann? Mit welcher Hardware? Große Handelskonzerne sammeln gute Erfahrungen damit, die Mitarbeiter zuhause lernen zu lassen – dabei kann die Schulungsdauer durchaus als Arbeitszeit angerechnet werden! E-Learning funktioniert im Handel ebenso gut wie beispielsweise in der Versicherungsbranche, auch wenn hier die Zahl der PC-Arbeitsplätze naturgemäß höher ist – was den Einsatz etwas erleichtert.
Welche Fehler sollte man bei E-Learning unbedingt vermeiden?
Lassen Sie es mich umdrehen und davon sprechen, was unbedingt beachtet werden sollte: Die Kurse sollten nicht zu lang sein, eine Stunde ist eigentlich schon zu viel. Möglichst kurze Kapitel, die nicht mehr als fünf Minuten dauern. Man sollte den Kurs nach jedem Kapitel unterbrechen können um ihn zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Und natürlich muss man unbedingt die Sprache und Erlebniswelt der Zielgruppe treffen. Authentizität ist absolut Pflicht. Viel Interaktion und Abwechslung gehören ebenfalls zu einem guten E-Learning.
Kann man die Kasse zum E-Learning nutzen? Ist der Erfolg nicht größer beim Lernen in aller Ruhe am PC im Backoffice?
Technisch kann man die Kasse sicher für das E-Learning nutzen. Normalerweise ist dies aber aufgrund der Frequenz im Kundenverkehr nicht sinnvoll. Mit Ausnahme von Performance-Support-Elementen, die von manchen auch zum E-Learning gezählt werden aber nur den Zweck haben, im Problemfall die richtige Lösung aufzuzeigen. Gelernt im Sinne von Wissensaufbau und Einarbeitung wird besser in Ruhe an einem Schulungsrechner im Aufenthaltsraum, im BackOffice oder eben zuhause.
Wie begegnet man der Furcht von Mitarbeitern vor Ausspähung beim E-Learning? Schließlich kann jeder Klick gespeichert und ausgewertet werden.
Formell kann eine Betriebsvereinbarung zum Umgang mit den Schulungen Sicherheit geben. Mit Blick auf die Sache muss man aber auch sagen, dass es für einen Arbeitgeber überhaupt keinen Sinn machen würde, die Klickbewegungen während der Einarbeitung zu überwachen. Was zählt, ist doch das Ergebnis: der sichere Umgang mit der Kasse oder einem anderen System, zufriedene Kunden und ein geringes Supportaufkommen. Bisher war eine solche Furcht noch nie Thema bei den Schulungsteilnehmern unserer Kunden.
Interview: René Schellbach, EuroCIS.com