Herr Prof. van Treeck, worin unterscheiden sich psychografisches und soziodemografisches Targeting?
Soziodemografisches Targeting versucht, Menschen anhand von beobachtbaren Eigenschaften zu identifizieren und diese als „gleich“ zu bewerten. Das heißt, alle Familienväter in einer Großstadt, die VW fahren, Tennis spielen und zwei Kinder haben, sind quasi ein und dieselbe Person. Das klingt nur im ersten Augenblick richtig, aber in der Realität wird es sich selbst bei einer sehr kleinen Zielgruppe um sehr unterschiedliche Menschen handeln. Das Kernproblem des soziodemografischen Targetings ist daher, dass es keine individualisierte Kommunikation erlaubt. Das ist der Grund, warum Anzeigen wie Bannerwerbung häufig gar keine persönliche Relevanz besitzen.
Psychografisches Targeting versucht nun Menschen anhand von Motiven, Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen zu klassifizieren. Das klingt vielleicht nach Rocket Sience, aber im Grund ist es nichts anderes, als das, was die Psychologie in den letzten hundert Jahren angetrieben hat: Auf die Suche zu gehen nach den zentralen Faktoren, die eine Persönlichkeit ausmachen und möglichst viele Verhaltenseigenschaften einer Person situationsbedingt zu erklären. Diese Verhaltenssignale werden übersetzt, um zu identifizieren, was einen Menschen gerade antreibt und ob er damit relevant ist.
Natürlich werden für das psychografische Targeting weiterhin soziodemografische Größen relevant sein, um Zielgruppen einzuschränken, indem bestimmte Ausschlusskriterien getroffen werden. Man beschneidet sie sozusagen, weil es sinnvoll sein kann für ein Produkt gezielt Menschen einer Altersgruppe oder eines Geschlechts anzusprechen, aber das beschreibt sie nicht.
Wie werden denn persönliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen getrackt?
Um Persönlichkeitseigenschaften zu bestimmen, benötigen wir beobachtbares Verhalten. Häufig werden hierzu Cookies hinzugezogen, die teilweise Daten von über einem Jahr speichern und unterschiedliche Bewegungsverläufe widerspiegeln, sei es beim Online-Shopping, der Lektüre auf SpiegelOnline oder der Google-Suche nach der nächsten Urlaubsreise. Diese Verhaltenssignale werden dann normalerweise genutzt, um auf das Alter oder das Geschlecht zu schließen. Besucher von FürSie.de sind vermutlich Frauen, Leser von FAZ.de tendenziell über 35 Jahre alt.
Diese Logik wird – sehr vereinfacht – auch beim psychografischen Targeting verwendet. Leser von Vergleichsportalen sind rationaler, Besucher von Communities und Foren haben ein ausgeprägteres Anschlussmotiv. Tatsächlich sind die Zuordnungsalgorithmen komplexer, dafür aber viel sparsamer als der aktuelle Standard.
Die Besonderheit des psychografischen Targetings ist, dass es mit weit weniger Daten auskommt, als das soziodemografische Targeting. Nur werden jetzt die Datenpunkte anders interpretiert und zusammengefasst als bisher. Das heißt, es handelt sich um dasselbe Bewegungsverhalten. Alle anderen Datenquellen sind aber genauso geeignet, beispielsweise CRM-Daten von Kunden.
Warum wir weniger Daten nutzen, hat recht einfache Gründe, denn Geräte wie Tablets oder Laptops eines Kunden werden heutzutage häufig von mehreren Personen genutzt. Die Auswertung der Datenspur ist nicht eindeutig interpretierbar und würde im Mittel nur Unsinn ergeben. Der zweite Grund liegt in unserer Persönlichkeit. Es gibt zwar ein dominantes Profil, das in den meisten Fällen das Leben und Handeln bestimmt, situationsabhängig kommen allerdings unterschiedliche Facetten zum Vorschein. Auf der Arbeit werde ich eher von einem Leistungsmotiv getrieben. In meiner Freizeit ist es das Anschlussmotiv, das in den Vordergrund tritt, da ich soziale Kontakte pflege. Auf dieser Basis verändert sich das Verhalten und deshalb ist es notwendig, dass nur kurze Bewegungssequenzen analysiert werden, um festzustellen, welche Eigenschaften zum Zeitpunkt x im Vordergrund stehen.
Das heißt, es handelt sich letzten Endes um einen anderen Algorithmus?
Genau. Das ist ein großer Vorteil des psychografischen Vorgehens, denn es musste keine neue Technologie entwickelt werden. Wir füttern die Maschinen nur mit einem anderen Auswertungsalgorithmus.
Das heißt im Umkehrschluss, dass sich Werbetreibende ganz anders mit ihren Zielgruppen auseinandersetzen müssen.
Richtig. Das ist das A und O einer psychografischen Kampagne. Werbetreibende müssen sich ganz neu mit ihren Zielgruppen auseinandersetzen. Das ist ein klassisches Persona-Vorgehen. Auf dieser Basis werden entsprechend differenzierte Werbemittel für jede psychografische Zielgruppe gestaltet. Bisher hatte man eine große Kampagne und diese wurde dann an alle definierten Zielgruppen ausgespielt. Dabei weiß jeder gute Verkäufer, dass Kommunikation auf die Persönlichkeit des Kunden zugeschnitten sein muss.
Mein Lieblingsbeispiel ist hier die Mini-Kampagne: Familienväter brauchen eine andere Kommunikation als diejenigen, die das Auto als Rennwagen betrachten. Familienväter haben in der Regel ein Anschlussmotiv. Ihnen wird der Mini als Raumwunder präsentiert, um Freunde und Familie unterzubringen. Demjenigen, der ein Leistungsmotiv hat, wird der Mini in einer Performancesituation gezeigt. Hier geht es dann um technische Details wie Schnelligkeit. Und letzten Endes können sich sogar beide Typen in einem Menschen verbergen, in der einen Situation Leistungsmensch, in der anderen das Familientier.
Also muss jede Kampagne von Grund auf neu gedacht werden?
Das kommt darauf an. Große Marken wie Mini, Nike oder Coca Cola planen von Beginn an in anderen Dimensionen. Sie verfügen in der Regel im Rahmen einer Kampagne oder eines Leitthemas über einen großen Pool an Werbemitteln. Wenn das der Fall ist, dann können tatsächlich vorliegende Werbemittel den jeweiligen Personae zugeordnet werden, je nachdem, welche Persönlichkeit bei den potenzialtragenden Zielgruppen vorliegt. Noch besser ist es aber, wenn die Kreation direkt weiß, welche psychologischen Motive besonders gespielt werden müssen.
Sind auch andere Kanäle wie Social Media oder stationäre Displays hier denkbar?
Social Media-Plattformen sind in der Regel sehr geschlossene Systeme. Aber auch sie arbeiten natürlich mit Größen, die wiederum in psychografische Merkmale übersetzt werden können. Das heißt, der Anwender bestimmt auch hier die relevanten psychografischen Zielgruppen. Das funktioniert nicht zu hundert Prozent, aber schon erstaunlich gut. Ich denke, es ist nur noch eine Frage von drei bis vier Jahren, dass Anwender bei Google oder Facebook psychografische Zielgruppen selbst zusammenstellen können und dann sind auch kleine Kampagnen möglich.
Am POS ist es eine Frage der Weiterübersetzung einer solchen Online-Kampagne. Händler müssen sich fragen, in welchen psychologischen Zielgruppen die größten Potenziale stecken. Sie müssen identifizieren, welche Personen am jeweiligen Regal anzutreffen sind. Dann kann die Kommunikation im Rahmen von Displaywerbung genauso angepasst werden.
Kann man denn mit psychografischem Targeting bereits Emotionen und Gefühlslagen analysieren?
Ja und nein. Aktuell können Persönlichkeitseigenschaften sehr stabil über verschiedene Situationen hinweg getrackt werden. Tatsächlich ist für uns eine der nächsten Entwicklungsstufen im emotionalen Bereich, der noch größeren Schwankungen unterliegt, Daten zu erheben. Das ist aber ungleich schwerer, wenn auch nicht unmöglich.