Die Warendisposition hat sich in den letzten Jahren sehr verändert.
Ja, das stimmt. Früher wurde viel aus dem Bauch heraus entschieden, nach dem Motto "Naja morgen ist ein Feiertag und das Wetter soll gut werden, da gebe ich mal den Filialen je nach Lage so und so viel Ware." Im Detail konnte das nicht mehr überblickt werden. In der heutigen Zeit können sich Händler allerdings Überhänge und hohes Abfallaufkommen nicht mehr erlauben, weil das extrem hohe Kosten verursacht und einen Imageverlust für die Firmen bedeuten kann. Wenn herauskommt, dass eine Supermarktkette Tonnen an Lebensmitteln wegschmeißt, verursacht das Schäden, die weit über den Umsatzschaden hinausgehen. Auf der anderen Seite erwarten Kunden auch am Donnerstagabend noch einen frischen Salat vorzufinden. All diese Faktoren muss ein Einzelhändler bei der Planung bedenken.
Sie haben sich besonders auf den Lebensmittel- und Modehandel spezialisiert. Warum genau?
Das liegt daran, dass diese Bereiche neben dem hohen Margen- und Umsatzdruck sehr stark von reinen Online-Playern getrieben sind. Im Lebensmittelhandel kommt zusätzlich hinzu, dass gerade im Frischebereich die Haltbarkeit von Produkten begrenzt ist und Händler ihre Ware bis zum Verfallsdatum abverkaufen. Dabei unterstützen wir sie, in dem wir Ihre Warendisposition optimieren und flexible Preisgestaltung ermöglichen. Der Modebereich ist dahingegen eher Saison getrieben und muss schauen, dass die Ihre Produkte bis zum Saisonende aus dem Lager abverkauft sind, um nicht darauf sitzen zu bleiben. Wir unterstützen unsere Kunden dabei, dass sie ihre Preise kontinuierlich anpassen und so die Chancen für einen Abverkauf wesentlich erhöhen.
Die Idee für Ihre Lösungen haben Sie aus der Teilchenphysik. Wie kam es dazu?
Blue Yonder kommt aus dem Data Science-Bereich. Der Unternehmensgründer Professor Michael Feindt ist ein ehemaliger CERN-Forscher und stellte während der Arbeit im Bereich der Teilchenphysik fest, dass es große Parallelen zu Fragestellungen in der Wirtschaft gibt. Denn auch hier stellt sich die Herausforderung, Zusammenhänge in Daten zu finden, die so groß sind, dass sie ein Mensch bei weitem nicht mehr überblicken kann – wie beispielsweise die sehr umfangreichen und komplexen Datenmengen am POS. Hieraus entwickelten sich unsere Lösungen, die sowohl im Online- wie auch im Offline-Handel angewandt werden können.
Ist künstliche Intelligenz für den Einzelhandel noch ein sehr abstrakter Begriff?
Eigentlich ist er das nicht mehr. Der Begriff wird gerade wieder sehr gehypt, wie es damals mit Big Data war. Ich glaube, in der Wirtschaft ist angekommen, wie diese Lösungen in Geschäftsprozesse eingebaut werden können, um Vorteile daraus zu ziehen. So unterstützen wir bei Otto beispielsweise die Warendisposition der Zentrallager mit ihren Partnerlabeln, bei dm die Prognosen, die die Lieferanten erhalten, um ihre Ware nachzuliefern. Im Bereich der Preisgestaltung unterstützen wir beispielsweise die Magazine zum Globus AG.
Wird der Mensch dann überflüssig?
Eine Maschine kann wesentlich besser sehr umfangreiche und komplexe Datenmengen überschauen als ein Mensch. Sie wird aber nie die strategischen Entscheidungen abnehmen können. Diese muss weiterhin der Mensch treffen.